Interview mit Isabelle Enderlein 

Übersetzerin von Maulina ins Französische

++ über französische Maulwörter, der Rolle einer Übersetzerin, kindgerechte Sprache bei der Übersetzung und der Problematik eines Maulwurfkuchens++

Wie sieht denn die Tätigkeit einer Übersetzerin aus? Also, womit verbringst Du den ganzen Tag, wenn Du sagst, dass Du Übersetzerin bist?

Eigentlich wirklich mit den Büchern – Es sieht so aus, dass ich morgens aufwache,  zuerst meine Kinder für die Schule fertig mache und ab dem Moment, ab dem sie aus dem Haus sind, setze ich mich konkret an den Schreibtisch und arbeite ein bisschen mechanisch. Das heißt, ich nehme den Text und arbeite ihn herunter. Ich erarbeite zunächst die erste Version, in dem ich den Text grob übersetze. Dann, wenn die erste Version fertig ist, brauche ich im Allgemeinen ungefähr noch 2 Monate, ehe ich das Gefühl habe, dass es die endgültige Version ist, die ich dem Verlag zuschicken kann. Da ich wirklich 2-, manchmal 3 -oder 4-mal meine Übersetzung überarbeite, brauche ich jedes Mal auch Pausen dazwischen. Dann muss ich meinen französischen Text schließlich noch einmal in Ruhe und als Ganzes lesen, da die französische Version an sich stehen und kohärent sein muss.

Also ganz konkret, schreibe ich am Schreibtisch. Ganz banal.

 

Wie kam es überhaupt dazu, dass Du Übersetzerin geworden bist?

Ich bin mit ungefähr 22 Jahren nach Deutschland gekommen – aus Liebe – und  habe auch erst dort Deutsch gelernt, dann Deutsche Literaturwissenschaften studiert und sogar in Vergleichender Literaturwissenschaften promoviert. Beim Studium war mir dann klar, dass ich mich genauso sehr für Literatur, wie auch für Sprache und Sprachwissenschaft interessiere. Das Sprachliche hat mich immer unheimlich fasziniert. Ich habe gemerkt, dass ich gern diese Vermittlerrolle zwischen den beiden Sprachen und deren Literaturwelten übernehmen würde. Also habe ich in dieser Richtung gearbeitet, in dem Sinne, dass ich deutsche Texte herausgesucht habe, die ich schön fand und damit zu französischen Verlagen gegangen bin und ihnen erst einmal die Texte angeboten habe, mit einer Probeübersetzung, damit ich überhaupt den ersten Fuß in den Betrieb bekommen konnte.

 

Das heißt, wenn Du etwas übersetzen möchtest, suchst Du das Buch bzw. die Geschichte aus und gehst damit zum Verlag und sagst, dass Du dies übersetzen willst oder ist es auch so, dass der Verlag Dich anspricht und dir sagt, dass Du dies und jenes übersetzen sollst?

Also um überhaupt in diese Welt reinzukommen, muss man sich vorstellen und dann ist es immer günstiger, es mit einem konkreten Vorschlag zu tun. So nach dem Motto: „ich habe mir dieses Buch angeschaut, es ist schön, ich meine, es ist wirklich ein Buch, das übersetzt werden müsste, könnte“ und da ist es sinnvoll eine Probeübersetzung zu machen. So fängt es eigentlich an und wenn man Glück hat und es gut funktioniert, dann hat man ein bisschen von Beidem, nämlich ein paar Aufträge, die man bekommt aber auch die Möglichkeit, vor allem bei kleineren Verlagen, Texte vorzuschlagen. Ich finde es persönlich ganz schön mit kleineren Verlagen zu arbeiten, bzw. mit Verlagen, die die Ratschläge der Übersetzer ernst nehmen. Ich arbeite ganz intensiv und eng mit dem Thierry Magnier Verlag zusammen, bei dem die Bücher von Finn-Ole Heinrich erscheinen werden. Dort habe ich die Möglichkeit, Bücher vorzuschlagen und das finde ich unheimlich schön, weil ich dann nicht nur übersetze, sondern auch „Scouting“ mache. Der Verlag ist dann auf mich angewiesen um auf deutsche Texte zu kommen, da sie ja selbst Deutsch nicht lesen können.

 

Ist es ein Unterschied, wenn du Kinderbuch oder Erwachsenenliteratur übersetzt? Gibt es da beim Prozess und beim Erarbeiten Differenzen oder ist alles für dich von Text für Text dasselbe?

Es gibt sicher einen Unterschied. Das, was ich vorneweg sagen kann, ist dass es definitiv nicht so ist, dass Kinderliteratur einfacher zu übersetzen ist als Erwachsenenliteratur. Das ist es nicht. Es ist von Buch zu Buch extrem unterschiedlich. Was stimmt, ist dass man auf jeden Fall bei Kinderliteratur im Allgemeinen immer darauf achten muss, dass die Sprache kindgerecht ist, aber nicht in einem engen, sondern in einem sehr breitem Sinne. Es muss besonders gepflegt, schön, nicht anstößig und irgendwo bunt und wortreich sein – das Kind muss mit dieser Sprache,  diesen Wörtern, die man auswählt, Spaß haben.

Aber es heißt nie, dass man vereinfacht, oder dass die Gedanken ärmer sein müssen, eher im Gegenteil. Man muss die Wörter ganz genau auswählen, feinfühlig für das sein, was das Kind später zum Lesen kriegen wird. Auf jeden Fall finde ich es sehr schön Kinderliteratur zu übersetzen.

 

Wie kam es dazu, dass Du Maulina übersetzen wolltest?  

Die Geschichte, wie ich auf Maulina kam,  ist ziemlich außergewöhnlich. Ich war auf einem Übersetzer-Workshop in Hamburg und Finn–Ole war als Autor auch dort und hat uns seine Bücher vorgestellt bzw. er hat aus Maulina, dem ersten Band, vorgelesen. Ich war absolut hingerissen, ich fand es extrem schön. Er hat ja auch ein schauspielerisches Talent und hat es wahnsinnig gut vorgelesen. Ich war wirklich total begeistert und habe mir auch sofort das Buch gekauft, habe es durchgelesen und mir gedacht, dass ich es unbedingt übersetzen muss und bin tatsächlich mit dem Buch und mit der Übersetzung des ersten Kapitels zu dem Verlag gegangen und habe gesagt „hey, das ist ein tolles Buch, das sollten wir machen“ und da war der Verlag sofort mit an Bord.

 

Maulina ist ja ein Buch voller Wortneuschöpfungen und Wortspielen. Wie bist Du mit diesen Wortspielen umgegangen?

Oh, die waren überall im Buch! Aber das war genau das Reizende für mich, dass ich wirklich kreativ sein musste. Ich hatte keine andere Wahl. In dem konkreten Fall von Maulina war es fast ein bisschen wie eine Neuschreibung, wobei das übertrieben gesagt ist - es bleibt ja eine Übersetzung. Trotzdem hatte ich keine andere Wahl, als mich ganz stark vom Original zu distanzieren, was das „Maulen“ angeht. Ich bin wirklich vom „Maulen“ ausgegangen, weil es der Grundbegriff ist, von dem sich alles ableitet. Dann hatte ich mehrere Möglichkeiten, es widerzugeben. Ich hatte drei Verben zur Auswahl. Mal hat es mit einem bestimmten Verb eher besser oder eher weniger gut funktioniert. Und letztendlich habe ich das Verb ausgewählt, womit es meiner Meinung nach am besten funktioniert hat, „râler“. Also hatte ich alles von diesem Wort aus abgeleitet und eben auch den Namen der Heldin gefunden.

Das, was ich noch erwähnen kann, ist dass der Name der Heldin letztendlich der Verlag ausgewählt hat. Ich habe dem Verlag eine ganze Reihe mit Namensvorschlägen zugeschickt, eigentlich war meine Lieblingsvariante eine andere gewesen. Ich persönlich hätte „Râlcotta“, von „Carlotta“ ausgewählt. Aber der Verlag hat sich für Lara entschieden. Lara, entstand durch die Silbenkehrtwendung von „râler“.

 

War dann das Ableiten der „Maulwörter“ das Schwierigste beim Übersetzen?

Ich glaube schon, wobei es auch andere Schwierigkeiten gab, die aber alle auf das zurückzuführen sind. Ich erinnere mich an konkrete Beispiele, wie die unterschiedlichen Crêpes, oder die Maultrommel – oh, die hat mich genervt. Oder den Maulwurfskuchen. Der Kuchen existiert ja und ist auch ein Begriff für deutsche Leser, er existiert aber als Kuchen nicht einmal in Frankreich und „Maulwurfskuchen“ ergibt überhaupt keinen Sinn in der französischen Sprache. Das heißt, ich musste eine andere Lösung finden.

An manchen Stellen aber konnte ich die Wortspiele nicht widergeben. Es ging einfach nicht. Deshalb habe ich versucht, die Wortspiele an einer anderen Stelle, wo sie im Deutschen weniger sichtbar waren, zu ersetzen, sobald ich eine gute Gelegenheit gefunden habe. Das war eine Lösung, um bei der Übersetzung den Geist des Buches widerzugeben.

Zum Beispiel beim Kakao, da habe ich das Wortspiel einbringen können, weil es ganz gut mit dem Verb passte, das ich für „maulen“ ausgesucht habe.

Maulina trinkt also „Râcao“, was vom „râler“, also „maulen“ kommt.


Gab es Momente, an denen Du verzweifelt warst, weil du nicht rüberbringen konntest, was du rüberbringen wolltest bei der Übersetzung?

Ja, hatte ich. Aber das ist bei jedem Buch eigentlich so. Man muss erst einmal das Gefühl haben, dass man den Ton und den Rhythmus heraus hat. Das hat bei Maulina eine Weile gedauert, ehe ich das Gefühl hatte, dass Maulina spricht, und eben nicht ich. Ich musste unbedingt die Authentizität, die diese Heldin hat, herüberbringen.

 

Hast du dir dann manchmal Hilfe von Finn geholt und Sachen mit ihm ausdiskutiert oder warst du eher für dich während des Übersetzungsprozesses? Gab es da eine Kommunikation zwischen euch?

Es gab auf jeden Fall eine Kommunikation, leider war es aber so, dass wir beide keine Zeit gefunden haben, uns zu sehen. Wir hatten vor, uns zu treffen aber es hat nicht geklappt. Entweder war ich unterwegs, oder er. Aber ich habe ihm am Ende der Übersetzung die unterschiedlichen Figuren vorgestellt und wie sie in Frankreich dann heißen würden. Ich glaube, er war ziemlich glücklich damit.

Und ich denke, er weiß genau, dass so ein Buch nicht wortwörtlich übersetzt werden kann. Das ginge gar nicht. Es zählt, dass die Grundidee des Buches und der Geist des Buches, nämlich diese Wortspiele, dieses Sprudelnde an der Sprache und diese wunderbare Heldin einfach erhalten bleiben.

 

Trauerst du um die Sachen, die bei der Übersetzung verloren gehen?

Ja. Immer. Auf jeden Fall. Und im Übrigen ist es für mich die Schwierigkeit des Übersetzens schlechthin, dass du dich davon lösen musst, dass du den originalen Text kennst. Obwohl ich ihn eben kenne, ihn mag,  ihn schätze, weil ich ihn schön finde.

Es ist wahnsinnig schwer, sich vorzustellen, dass der französische Leser im Endeffekt den Originaltext nicht kennt. Ich kenne ihn und habe das Gefühl,  dass ihn alle ja auch kennen, aber das stimmt ganz und gar nicht. Ich muss mir dann immer sagen, dass das Original ja für den Leser, der meinen Text lesen wird, nicht existiert. Aber genau das finde ich bei der Vermittlungsarbeit anspruchsvoll.

 

Hast du dann das Gefühl, dass du dich mit deinem Charakter selbst sehr in dem Buch eingebracht hast?

Es war bei diesem Buch konkret notwendig, auch selbst mit der eigenen Sprache zu spielen, sogar mehr als ich es bis jetzt bei anderen Übersetzungen machen musste. Ich musste viel mehr eigene Kreationen einbringen, das ging nicht anders. Und das hat mir viel Spaß gemacht. Das war genau das Spannende an der Übersetzung von diesem Buch. Und ich hoffe mal, dass es geklappt hat, diese Kreativität, die das Buch an für sich schon mit sich bringt, in der Sprache aufrechtzuerhalten.

 

Das ganze Buch ist ja voll mit „Maulwörtern“. Hast du ein Lieblings-französisches Maulwort, das du in dem Buch mit eingebracht hast? Sprich, dein Lieblingswortspiel?

Ja. Allerdings ist es schwer zu erklären und ich erinnere mich auch nicht mehr genau daran, wie das Ursprungswort im Deutschen lautete. Aber ich erinnere mich daran, dass ich das Wort „Râlyngite“ verwendet habe. Es ist auch eine Abwandlung von Laryngite, also Kehlkopfentzündung. Und aus Laryngite habe ich durch das Verb „râler“ Râlingite gemacht Das hat wahnsinnig gut im Kontext funktioniert und ich fand es besonders süß.

Worüber ich auch sehr glücklich bin, ist mit dem Untertitel des Buches. Das Buch heißt ja „Mein kaputtes Königreich“ und ich konnte zufällig eine schöne Alliteration reinbringen. Ich habe den Untertitel  in „Mon duché déchu“ übersetzt und es klingt auch ganz süß. Das war ein schöner Zufall.


Denkst du eigentlich, dass die Rolle des Übersetzers immer wichtiger wird mit der Zeit?

Auf jeden Fall, ist es gerade so, dass zurzeit viel für die Arbeit der Übersetzer getan wird: Es ist ein echtes Bewusstsein entstanden. Das merkt man daran, dass zum Beispiel der Name des Übersetzers auf dem Cover des Buches auftaucht, dass man ihm Arbeitsaufenthalte genehmigt oder ihm ein bisschen Geld gibt.  Das war vorher gar nicht der Fall. Ob die Arbeit des Übersetzers an sich wichtiger wird, glaube ich nicht. Man muss aber auch verstehen, dass im Gegensatz zum Werk, das bleibt, die Übersetzungsarbeit kein Prozess ist, der einmal für alle Male fertig ist. Vor allem ein gutes Buch wird mehrmals übersetzt. Und das ist auch gut so. Die Übersetzungen müssen leben, sie müssen sich an die neue Zeit anpassen - Übersetzen ist eine lebendige Arbeit.

Ich glaube, ich werde das Gefühl haben, dass ich meine Arbeit gut gemacht habe, wenn ich weiß, dass in 20 Jahren Maulina neuübersetzt wird. Das wäre super. Denn das würde bedeuten, dass ich das Buch zum Bewusstsein gebracht und wichtig genug gemacht habe, dass jemand anderes auf die Idee kommt, es noch besser zu machen. Fantastisch!

 

Mehr zu Isabelle Enderlein und ihren Übersetzungen (auf französisch!) hier